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Raus aufs Land! Warum dem ländlichen Raum die Zukunft gehört. Von Dr. Daniel Dettling
Von wegen, in der Provinz findet man nur "Abgehängte". In Wirklichkeit ist das Armutsrisiko in den Städten größer. Und dank der Digitalisierung wird man auch jenseits der Ballungsräume besser vernetzt sein denn je
Ein Beitrag von Dr. Daniel Dettling
Ein neues Gespenst spukt durch die westliche Welt. Es ist das Gespenst von den "Abgehängten" draußen auf dem Lande, die gegen das "Establishment", die "Meinungseliten in den Metropolen" aufbegehren. Die Bürger in den ländlichen Regionen und Kleinstädten der USA haben überwiegend Trump gewählt. Kaum anders sind die Ergebnisse der letzten Abstimmungen und Wahlen in England, Österreich und einzelnen deutschen Bundesländern: je provinzieller, desto anfälliger für Populismus.
Mehr als die Hälfte der Deutschen lebt auf dem Land in einem der 35.000 Dörfer und in Kleinstädten mit maximal 10.000 Einwohnern. Droht auch Deutschland eine Spaltung in Stadt und Land? "Provinz matters!" Der erste Politiker, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte, war der deutsche Landwirtschaftsminister. Nur wenige Tage nach der Wahl Trumps baute Christian Schmidt sein Ministerium um und definiert sich künftig als Minister für ländliche Regionen.
Schrumpfen ist kein Naturgesetz
In der "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land" sieht der CSU-Politiker das Megathema der kommenden Jahre. Die SPD spricht von der "neuen sozialen Frage". Im Bundestagswahlkampf soll das Thema eine zentrale Rolle spielen.
Der Nochparteivorsitzende Sigmar Gabriel beschrieb jüngst in einem Interview den Niedergang des ländlichen Raums mit drastischen Worten: "Unser Land fällt ja wirklich immer mehr auseinander. Nicht nur in Arm und Reich, auch in Stadt und Land. In den Großstädten fehlt es an bezahlbaren Wohnungen, und auf dem Land gibt es häufig nicht mal mehr eine Bushaltestelle, keine Grundschulen, keinen Supermarkt, keinen Arzt und keine Apotheke. Die Menschen fühlen sich dort im Stich gelassen." Müssen wir Abschied nehmen vom sich überall kümmernden Daseinsvorsorgestaat?
Das stetige Wachsen der Städte und das kontinuierliche Schrumpfen der ländlichen Regionen ist kein Naturgesetz. Der jahrzehntelange Trend zur Landflucht, wonach immer mehr Menschen in die Städte ziehen, scheint gestoppt.
Comeback der ländlichen Räume
Erstmals seit 20 Jahren ist die Differenz aus Zu- und Fortzügen in den sieben größten deutschen Städten negativ. Dieser Trend wird sich in Zukunft verstärken. Für das Ende der Urbanisierung und das Comeback der ländlichen Räume sprechen globale, ökonomische und auch technologische Gründe.
Die globale Migration nach und innerhalb Europas wird zunehmen. Nach den USA ist Deutschland das attraktivste Einwanderungsland der Erde. Die Bevölkerungsprognosen für die nächsten Jahrzehnte müssen neu berechnet werden. Deutschland schafft sich nicht ab, sondern wächst. Bis 2035 prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft einen Anstieg um acht auf dann rund 90 Millionen Einwohner. Die meisten von ihnen werden dauerhaft bleiben, arbeiten und wohnen.
Arbeitsplätze gibt es genug
Insbesondere für die Schrumpfungsregionen in West- und Ostdeutschland, die unter Abwanderung leiden und massiv Einwohner verloren haben, ist die neue Zuwanderung nach Deutschland eine enorme Chance. Mit dem Instrument der Wohnsitzauflage steht den Kommunen seit einem Jahr ein neues Instrument der demografischen Steuerung zur Verfügung, das bislang nur wenige nutzen.
Auch ökonomisch spricht einiges für die ländlichen Regionen. Viele Regionen, die von Abwanderung bedroht sind, suchen händeringend nach Arbeitskräften. Nur in zehn der 402 deutschen Landkreise (keine drei Prozent!) ist in den letzten Jahren die Zahl der Arbeitsplätze gesunken. Viele erfolgreiche Weltmarktführer haben in der Provinz ihren Sitz. Die Mehrheit dieser meist kleinen und mittleren Unternehmen sucht Fachkräfte, fast alle suchen Auszubildende. Die Beschäftigung ist im ländlichen Raum deutlich stabiler. Die Zahl der Arbeitslosen geht dort stärker zurück als in den Großstädten.
Hohe Mieten in den Städten
Immer weniger Menschen können sich in den Städten eine Wohnung leisten. Der Wohnbedarf wird sich vor allem in den Großstädten nur zur Hälfte decken lassen. Forscher warnen vor einer neuen Wohnungsnot. Deutschland hat die schlechteste Wohnraumförderung in Europa. Stadtluft macht arm. Wegen der höheren Lebenshaltungskosten insbesondere für Wohnen gilt nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft jeder fünfte Bewohner einer deutschen Großstadt als kaufkraftarm. 25 bis 45 Prozent geben Städter für Miete aus, in den ländlichen Regionen sind es oft nur zehn Prozent. Die Eigenheimquote liegt hier bei 80 Prozent. Die Armut konzentriert sich zunehmend in den Metropolen und Ballungsgebieten. Nordrhein-Westfalen hat eine geringere Kaufkraft als Thüringen.
Dem ländlichen Raum gehört die Zukunft. Nur weiß das in Deutschland kaum jemand. Die Politik sollte ihren Worten jetzt auch Taten folgen lassen und den ländlichen Raum attraktiver machen und aufwerten. Statt Fernsteuerung und Fremdbestimmung geht es um "Empowerment" und Entscheidungsfreiheit. Die digitale Revolution mit ihren neuen technologischen Möglichkeiten macht die anstehende Transformation möglich. Lernen könnte Deutschland auch hier vom Silicon Valley: Die Entfernung vom Silicon Valley bis nach San Francisco ist nicht größer als von Boizenburg nach Hamburg. Der Unterschied: In Boizenburg wollen nur wenige arbeiten. In dem mecklenburgischen Landkreis finden sich nur wenige Beschäftigte, während es im Silicon Valley mehr als eine Million Arbeitnehmer sind. Smart Cities und Smart Countries bedingen einander. Nicht "Aufbau Ost" oder "Aufbau West" ist das Gebot der Stunde, sondern "Aufbau Land".
Pendeln wird zum Auslaufmodell
Gefragt sind innovative Gesamtstrategien für die Zukunftsthemen Digitalisierung, Mobilität, Gesundheit, Bildung, neues Arbeiten und Tourismus. Voraussetzung ist eine bessere Infrastruktur und Anbindung der ländlichen Regionen und Kleinstädte an die Metropolen. Die Digitalisierung erleichtert die Dezentralisierung von Leben und Arbeiten. Wenn überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich theoretisch in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt produzieren und arbeiten. Neue Formen der Mobilität entstehen. Lange Wegstrecken und Pendeln werden dank Automatisierung und vernetztem Fahren in Zukunft zum Auslaufmodell.
Die Menschen werden mehr Zeit zu Hause, mit der Familie und für sich selbst haben. Gerade deswegen werden sie mehr reisen und unterwegs sein wollen. Eine Mobilitätsflat für alle würde den Unterschied zwischen Land und Stadt ebenso überflüssig machen wie ein Deutschland-Ticket für alle regionalen Verkehrsverbünde.
Speckgürtel aus Bio-Dörfern
Eine Antwort auf den Ärztemangel vor Ort sind Online-Praxen. "Mobile Health" bringt den Landarzt wieder zurück. Baden-Württemberg hat jetzt ein Modellprojekt gestartet. Dort dürfen Ärzte Patienten auch am Telefon oder online behandeln. Das Rezept und die Krankschreibung folgen per E-Mail. Lange Wegstrecken und Wartezeiten werden überflüssig, und das Gesundheitssystem wird entlastet.
Auch für den Tourismus bietet der ländliche Raum neue Möglichkeiten. In vielen Regionen könnte ein "Silver Valley" entstehen für Menschen, die nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit selbstbestimmt und fit ihre Freiheit genießen wollen. Das schnelle Internet wird Start-ups auch auf dem Land möglich machen. Und um den Speckgürtel der Metropolen entstehen "Biodörfer". Andere Regionen werden junge Menschen und Zuwanderer anlocken.
Der demografische Wandel bietet die einmalige Chance, aus der Not eine Tugend und Deutschland zum Vorbild zu machen: ein Land der Hochbetagten und Hochbegabten. Ein Land der Smart Cities und Smart Countries. Ein Zukunftsland. Die Zukunftsforschung hat für den Wandel einen schönen Begriff erfunden: "Glokalisierung". Wir reisen viel und sind dennoch ortsverbunden. Wir denken global und handeln lokal. Der Mensch ist ein globaler Dorfbewohner.
Zum Autor:
Dr. Daniel Dettling leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts. Soeben erschien dessen neue Studie „Zukunft des Wohnens“.